Das Buch "Selbst ein Anfang sein" von Dirk Grosser hatte mich sehr berührt. Ich fand dort viele Gedanken wieder, die sich mit meinem Empfinden und Erleben unserer Welt, der Schöpfung und des
Kosmos decken, die mir wieder einmal zeigten, dass wir doch selbst so viele Dinge in der Hand haben und das so vieles, ja vielleicht sogar alles, was wir brauchen, in uns ist. Grund genug für
mich, den Bielefelder Buchautoren zu besuchen und mich mit ihm über die Begeisterung und das Staunen zu unterhalten. "Staunen heißt, mit neuen Augen sehen", so beschreibt Dirk Grosser es in einem
Kapitel seines Buches.
Sind das Staunen und die Begeisterung verwandt?
Im Wort "Begeistern" ist ja schon der "Geist" enthalten. In der Erfahrung, die begeistert, berührt mich der große Geist, wenn mein eigener Geist offen ist und noch staunen kann.
Daher ist das Staunen die Grundvoraussetzung, sich begeistern zu können.
Hermann Hesse sagte: „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.“ Der Zenlehrer Shunryu Suzuki spricht vom "Anfänger-Geist", Sie davon, "selbst ein Anfang zu sein".
Ja, die Erkenntnis von Suzuki, dass es "im Anfänger-Geist viele Möglichkeiten gibt, im Geist des Experten nur wenige", hat mich bewegt. Je weniger Konzepte und Theorien über die Welt wir mit uns
herumschleppen, desto mehr kann die Welt uns berühren.
Dann können wir in ganz alltäglichen Dingen das Wunder erkennen und uns darin verlieben. Wirklich begeistern können wir uns m.E. nur, wenn wir uns ohne Erwartungen in etwas oder jemanden
verlieben.
Gibt es etwas, das Ihnen hilft im Leben begeistert zu sein?
Ein sehr hilfreiches Werkzeug kann die Meditation sein. Mein Geist wird dabei offen. Das ist die Essenz der Meditation: Das Sehen neu zu lernen, das, was wirklich ist, hereinzulassen, und die
Welt nicht so zu betrachten, wie sie unserer Meinung nach sein sollte. Wenn ich mich in dieser Weise öffne, kann ich mich immer wieder allem neu zuwenden. Die größten Meister darin sind Kinder,
die einfach schauen, ohne ein Urteil im Kopf zu haben.
Die Meditation öffnet den Geist. Dann hat die Welt eine Chance, zu uns durchzudringen. Natürlich sind wir so auch verletzlich, aber wenn wir eine Ritterrüstung tragen, um uns zu schützen, dann
bleibt die Welt außen vor. Ich glaube, viele Menschen leben so. Sie lassen sich von nichts oder Wenigem berühren, weil sie Angst haben, verletzt zu werden oder Schwäche zu zeigen.
Haben wir da eine Lernaufgabe?
Es ist immer das Ego, das Angst hat und sich schützen möchte. In der Meditation tritt das Ego zurück und lässt der wirklichen Erfahrung Raum. So können wir die Wirklichkeit annehmen und uns
begeistern lassen!
Man kann es fast formelartig zusammenfassen:
Meditation -> offener Geist -> Staunen -> Begeisterung -> Liebe.
Die Meditation öffnet unseren Geist, macht Staunen möglich, das wiederum Begeisterung weckt und mich in die Welt verlieben lässt.
Dazu ist mir noch ein Gedanke wichtig:
Die Meditation als solche sollte immer wieder etwas Neues sein. Wenn ich jemanden sagen höre, dass er eine langjährige Meditationserfahrung hat, dann spricht da eher das Ego. Doch in der
Meditation hört das Ego für einen Moment auf zu existieren. Der Meditierende setzt sich immer wieder mit der inneren Haltung hin: Mal sehen, was heute passiert.
Man kann in der Meditation eine tolle Erfahrung machen, ein überwältigendes Körpergefühl erleben, eine große geistige Klarheit verspüren und begeistert sein.
Ich habe das so erlebt, gleich bei den ersten Meditationsübungen. Und dann bin ich dieser Erfahrung jahrelang nachgerannt und wollte es genau so wieder erleben. Irgendwann ist mir dann
aufgefallen, dass mein Geist gar nicht offen war, weil ich etwas ganz Bestimmtes wollte und meine Erwartungshaltung mir völlig im Weg stand. Die Neugierde, die Offenheit, der Anfänger-Geist, sie
sind unsere Lehrmeister.
Kann uns so etwas auch in der Partnerschaft begegnen?
Ja. Wir verlieben uns, kommen uns näher, binden uns, und haben dann nach einiger Zeit ein Bild von unserem Partner im Kopf, eine Erwartung. Das ist ein Grund, warum viele Partnerschaften nicht
funktionieren. Plötzlich sehen wir, dass sich etwas beim Partner entwickelt, was gar nicht mehr dem Bild entspricht, das wir von ihm haben. Zum Beispiel sind viele Frauen zwanzig Jahre im
Haushalt und ziehen die Kinder groß. Dann sind die Kinder plötzlich aus dem Haus und die Frau sucht sich andere Aufgaben, wendet sich evtl. sogar Spirituellem zu – und das gefällt dem Mann dann
gar nicht. Er möchte lieber, dass seine Frau so ist und bleibt wie früher…
Menschen sind aber nicht statisch, sondern sie verändern sich jeden Tag.
Wir haben die Möglichkeit, das positiv wahrzunehmen. Denn es kann ein großes Geschenk sein zu sehen, wie sich ein Mensch entwickelt. Auch bei unseren Kindern ist das eines der wertvollsten
Geschenke.
Wie ist das mit der Begeisterung in der Musik, Ihrer Passion?
Wenn ich Musik mache, habe ich auch oft diese Erfahrung, dass mich etwas Größeres als ich selbst berührt. Ich spüre, da passiert etwas, da entsteht etwas. Ich kann mich von mir selbst überraschen
lassen. Wenn ich dann aber an einem zurechtgelegten Konzept festhalten möchte, kann es passieren, dass die gerade entstandene Inspiration verschwindet und sich auflöst.
Es ist für mich eine wertvolle Erfahrung, Dinge geschehen zu lassen. Das geht sicher nicht in allen Bereichen des Lebens, aber es ist sehr schön, sich ab und an überraschen zu lassen.
(Ursprünglich erschienen im Magazin MEILE von Petra Jastro.)