Mutmuskeln

Wenn wir Geschichten von Helden und Heldinnen hören, bewundern wir oft ihren großen Mut, vergessen dabei aber oft, dass dieser Mut weder vom Himmel fällt noch irgendjemand von Geburt an damit in vollem Umfang ausgestattet ist. Mut ist wie ein Muskel, den wir im Leben trainieren können: jeden Tag, in jedem Augenblick, mit jeder Herausforderung, auf die wir uns einlassen. Manchmal sind das kleine Schritte, manchmal ist es der Sprung ins kalte Wasser – und niemand weiß, was für einen anderen Menschen eine Kleinigkeit oder eine große Sache ist. Wir alle befinden uns irgendwo auf einer uns gänzlich unbekannten Mutskala, aber genau von dort loszugehen, es einfach zu tun, ist die Kunst, die wir alle lernen dürfen. 

Ein Muskel wächst durch den Wechsel von Anspannung und Entspannung: Spannen wir ihn nur an, wächst er kein bisschen, sondern reißt irgendwann; lassen wir nur locker, wird er auf Dauer zu Pudding. Ziemlich simpel.

Genauso ist es mit unserem Mut: Von Zeit zu Zeit brauchen wir Herausforderungen, müssen uns aus unserer Komfortzone herausstrecken und Dinge tun, die uns selbst überraschen. Dann kehren wir wieder dorthin zurück, wo wir eine gewisse Geborgenheit verspüren, um uns morgen oder übermorgen wieder hinauszubegeben und zu schauen, welche weiße Flecken auf der Landkarte wir noch entdecken können. So werden wir nach und nach mutiger, trauen uns Größeres zu, folgen unserer wirklichen Vision, bis wir vielleicht irgendwann vor etwas stehen, das uns die Knie schlottern lässt und wir dennoch sagen: „Scheiß drauf … ich mach das jetzt!“ Wir entdecken unbekannte Seiten an uns, erforschen Aspekte, die uns und anderen bislang verborgen geblieben sind, gehen weiter als wir jemals dachten, lassen unsere Mutmuskeln mit jedem Schritt wachsen … Und dann merken wir: Zwischen uns und den Helden und Heldinnen unserer Geschichten besteht kein großer Unterschied! 

(c) Dirk Grosser