Ganz anders, vollkommen gleich

Über einen Freund mit vier Beinen

Manchmal sitzen mein Freund und ich unter einem Baum und machen gemeinsam das, was wir am Besten können: Einfach nichts! Wir hocken herum, lassen unseren Blick über die Landschaft streichen, während der Wind uns um die Nasen weht … und schweigen. Er erwartet nicht, dass wir Dinge ausdiskutieren, er verlangt auch keine Entschuldigung, wenn ich mal etwas verbockt habe, er möchte mich auch niemals von seiner Meinung überzeugen oder mir stundenlang von seinen neuesten Anschaffungen vorschwärmen. Ihm reicht es völlig, wenn ich einfach bei ihm bin und ihm ab und an ein stinkendes Stück getrockneten Kuhmagen zustecke …

Ja, mein Freund ist ein Hund. Und das hat gute Gründe. Vor allem den, dass solch eine Freundschaft ungemein unkompliziert ist. Wir können einander Raum geben: Er lässt mich lesen, ich lasse ihn buddeln. Weder will ich ihn dabei von Sherman Alexie oder James Baldwin überzeugen, noch er mich vom offenbar großartigen Gefühl, Lehm und Gras zwischen den Zähnen zu haben. Wir drängen uns gegenseitig zu nichts, wir stellen keine Forderungen, sondern schenken uns gegenseitig eine ganz besondere Form von freier Zugehörigkeit. Und da wir dabei stets die Klappe halten, ist das enorm erholsam. Wichtig für uns ist das gemeinsame Unterwegs-Sein, wobei es völlig gleichgültig ist, wohin die Reise geht – Hauptsache, es gibt Pausen unter Bäumen oder Ballspiele, wo man nicht Ballspielen darf. Wenn wir zusammen sind, ist alles einfach und alles okay. Mehr wollen wir gar nicht.

Es gibt auch andere Tiere, aber …
Wenn ich hier jetzt nur über einen Hund schreibe, werden sich diejenigen, die anderen Tierarten zugeneigt sind, wahrscheinlich fühlen, als kämen sie zu kurz. Und auch das Redaktionsteam von moment by moment bat mich, doch allgemein über die Freundschaft zwischen Menschen und Tieren zu schreiben. Aber das geht einfach nicht. Ich habe es wirklich probiert, doch es wollte einfach nicht gelingen.
Ja, Katzen können niedlich sein … Aber seien wir doch mal ehrlich: Wenn man auch meint, die Katze würde einen verstehen, weiß man doch im Grunde seines Herzens, dass der kleine Stubentyrann insgeheim über die Weltherrschaft nachgrübelt, während man ihm die eigenen Sorgen erzählt. Katzen schnurren nicht, weil sie sich bei uns wohlfühlen, sondern weil ihnen der Gedanke an die Unterjochung der Menschheit wohlige Schauer über den Rücken jagt!
Und Pferde: Klar, die sind toll! Sanft und einfühlsam. Aber es sind eben auch Fluchttiere. Wenn Sie mit Ihrem Hannoveraner einen Ausflug in die Bronx machen und fünf testosterongesteuerte Gangmitglieder Ihnen die Hölle heißmachen wollen, dann sehen Sie von Ihrem Pferd nur noch eine Staubwolke am Horizont, bevor die gesichtstätowierten Homies auch nur „Würden Sie uns freundlicherweise Ihre Brieftasche überlassen?“ sagen können. Mein vierbeiniger Freund hätte in der Zeit schon drei von den Typen kampfunfähig gebissen und zwei einfach am Stück heruntergeschluckt. So sieht’s nun mal aus!
Reptilien? Geborene Egoisten, die nur an sich selbst denken und anfangen herumzuwinseln, sobald es im Terrarium mal 34,5 statt 34,6 Grad sind. Und Fische? Können Sie für Ihren Guppy im Park einen Ball werfen? Also bitte …
Und wer eine Vogelspinne oder ähnliches Getier hält, legt wahrscheinlich ohnehin nicht allzu viel Wert auf Freundschaften, weder auf tierische noch auf menschliche. (Ich zumindest betrete deine Wohnung nicht, du Freak!)
Einigen wir uns also darauf, was die Wissenschaft schon vor hunderten von Jahren festgestellt hat und was ich gänzlich objektiv bestätigen kann: Der Hund ist der beste Freund des Menschen!

Keine Masken, keine Rollen
Hunde haben keine Idee von sich selbst, keine Vorstellung, wie sie zu sein haben, was sie darstellen sollen usw. Sie sind einfach … Mein Hund ist zum Beispiel ziemlich groß, mit wunderschönem weißen Fell und rotbraunen Ohren. Ein wirklich stattliches Tier! Auf seinem Popo hat er aber auch einen rotbraunen Fleck, der sehr nach einem Herzchen aussieht. Das ist ungefähr so lachhaft wie ein Bodybuilder mit einem Biene-Maja-Tattoo, aber das juckt ihn nicht. Er bummelt durch die Welt und es ist ihm vollkommen wurscht, wie er aussieht. Ebenso ist es ihm egal, wie ich aussehe, wie es um mein Bankkonto bestellt ist, welchen Body-Mass-Index ich habe oder von welcher Marke meine Turnschuhe sind. Er scheint nur auf mein Herz zu schauen und zu prüfen, ob das weit und groß genug ist, dass er darin herumlaufen und spielen kann. Und wenn das der Fall ist, ist alles gut! Dann bin ich sein Freund. So wie ich bin, ohne die Notwendigkeit irgendeiner Maske oder irgendeiner gesellschaftlichen Rolle.
Einen Freund wie ihn zu haben, bringt mich dazu, auch meine Vorstellungen über mich in Frage zu stellen, mich nicht mehr so bierernst zu nehmen und nicht alles zu glauben, was mir so an Gedanken durch den Kopf schwirrt. Wie er kann ich viel öfter einfach zufrieden mit dem jeweiligen Augenblick sein, ganz gleich, wie dieser gestaltet sein mag.
Jede Minute, die ich mit diesem vierbeinigen Freund verbringe, zeigt mir, dass das einzige, dem man im Leben hinterherrennen muss, ein Ball ist. Und sonst nichts!

Immer da
Auf diese Freundschaft ist absolut Verlass. Kann ich nachts nicht schlafen, weil ich irgendwelche Sorgen habe, ist er der Erste, der dabei ist, mit mir eine Runde um den Block zu drehen. Bin ich geknickt, legt er seinen Kopf auf mein Bein, sabbert mich voll, hechelt mir seinen Fischatem ins Gesicht und bringt mich auf andere Gedanken. Bin ich krank, liegt er neben meinem Bett und wacht über mich. (Wenn man den Hundefurz wieder riechen kann, ist die Erkältung so gut wie vorbei!) Bin ich mutlos, reicht es, ihn dabei zu beobachten, wie er alle zwei Sekunden etwas unfassbar Aufregendes entdeckt, um festzustellen, dass die Welt ein Ort voller Wunder ist, wenn man nur wirklich die Augen öffnet.
Umgekehrt weiß auch er, dass ich immer für ihn da bin, ihm immer lieber den teureren Sack Futter kaufe (Getreidefrei! Er macht eine strenge Paleo-Diät …), immer für genug Leckerchen sorge, stets mit ihm gemeinsam über flüchtende Postboten lache und ihn in dem Glauben bestärke, dass ALLES, was er bis zum Horizont sieht, ihm gehört.

Bis zum Ende
Seit einiger Zeit stehen nun auch neue Lektionen an, auf die ich mich als echter Freund einlassen muss. Das Universum hat es leider so eingerichtet, dass Hunde schneller altern als Menschen – und ein so großer Hund ist mit 13 Jahren schon ein wirklicher Senior.
Daher brauchen wir für einen 500-Meter-Spaziergang jetzt oft eine halbe Stunde, während ich früher im Sprint auf dem Fahrrad kaum hinter ihm herkam. Er schläft tagsüber nun so tief und fest, dass ich ihn kaum wachbekomme, wenn es Zeit ist, nach draußen zu gehen. Mindestens einmal in der Woche muss er zur Physiotherapie, und meine Frau und ich haben extra einen Kurs gemacht, in dem wir gelernt haben, wie man einen alten Hund so massiert, dass er sich besser bewegen kann. Meist stehen wir zweimal in der Nacht auf, um ihn zu seinem Wassernapf zu führen, weil er irgendwie zu vergessen scheint, wo dieser steht. (Auch wenn das direkt neben seinem Bett ist.) Das einzige, was unverändert ist, ist seine Hingabe an seinen Quietsch-Igel, den wir immer wieder nachkaufen und so tun, als hätte er ihn nicht im Garten verbuddelt oder anderweitig zerlegt.
Ich mag es mir einbilden, aber ich glaube, er ist für all das dankbar. Er hat vor Jahren seine Pfote vertrauensvoll in meine Hand gelegt … und auf gewisse Weise ist sie dort immer geblieben. Sicher mache ich nicht alles richtig, aber ich glaube, er nickt mir immer wieder zu und weiß, dass ich mich ehrlich bemühe.
Sollte nicht irgendeine unvorhergesehene Katastrophe über uns hereinbrechen, wird er den Rest seines Lebens bei mir sein – und ich hoffe, dieser Rest dauert noch verdammt lange! Aber ich weiß auch, dass ich ihn irgendwann im Arm halten werde, wenn er seinen letzten Atemzug macht. Er wird mich anschauen und vielleicht nicht genau verstehen, was da mit ihm passiert, aber er wird in der Gewissheit gehen, dass ich bei ihm bin. So wie es immer war. So wie es richtig ist.
Das wird mir das Herz brechen, doch hat die Freundschaft zu ihm mein Herz größer, weiter und stärker gemacht. Ich werde das also aushalten, weil jede Minute, die ich mit ihm verbracht habe, den Schmerz, der unweigerlich kommen wird, bei Weitem wettmacht. Und ich werde immer an ihn als wahren Freund denken, der so ganz anders als ich war und doch so vollkommen gleich.

(c) Dirk Grosser

Erschienen im Magazin moment by moment.