
Schauen wir uns doch einfach mal unsere Pläne der vergangenen Jahre an … Was hat sich genauso verwirklicht, wie wir uns das gedacht haben? Was hat sich völlig anders entwickelt, sich aber im Nachhinein als viel besser herausgestellt als unser ursprüngliches Gedankenkonstrukt? Welche Erwartungen wurden erfüllt? Und welche unserer Erwartungen sind niemals Wirklichkeit geworden, sondern wurden von ebendieser auf viel passendere Weise abgeändert oder gar bei weitem übertroffen?
Wir haben vielleicht immer wieder vergeblich beim Universum Bestellungen aufgegeben und sind
an dem doch eher unzuverlässigen Lieferservice verzweifelt. Und auch bei der zuständigen Reklamationsstelle fanden wir stets das Schild „Lassen Sie sich am Nebenschalter bedienen!“ vor, bei dem aber schon längst die Rollläden unten waren.
Unser Leben erschien uns unvollkommen, weil wir dachten, dass unser Masterplan doch eine prima Idee sei, wir aber leider feststellen mussten, dass er den lieben Gott, die Nornen, die Moiren oder wen auch immer doch nicht so recht zu überzeugen schien. Und weil uns Erwartungen manchmal einfach die Sicht versperren, haben wir dann mitunter die Geschenke übersehen, die uns das Leben anstelle der von uns herbeigesehnten Dinge überreicht hat.
Vielleicht sollten wir auf den großen Philosophen Mick Jagger hören, dessen Zeilen „You can‘t always get what you want“ uns vielleicht morgens unter der Dusche in den Sinn kommen. Einfache Worte, verbunden mit einer Melodie, die uns nie wieder aus dem Kopf geht. Ein paar Gitarrenakkorde und eine ewige Weisheit, die uns am Ende des Refrains noch ein schunkelndes „You get what you need“
mit auf den Weg gibt.
Das ist die Wirklichkeit, die nicht viel mit The Secret oder irgendwelchem Quantengedöns zu tun hat. Die Wirklichkeit, die uns das schenkt, was wir entweder in diesem Augenblick oder auf lange Sicht brauchen (auch wenn uns das manchmal nicht passt) und damit das Beste und Menschlichste in uns hervorbringt.
Wenn wir unsere eigenen Erwartungen mal kritisch unter die Lupe nehmen und erkennen, dass unser Ego tatsächlich meint, dass das ganze Universum ihm zu Diensten sein soll, können wir vielleicht kurz auflachen und den Kopf schütteln. Dann können wir aufhören, unser Leben als unvollkommen zu betrachten … Wir können unsere Beziehung und unseren Partner, unsere Eltern und den Rest der buckligen Verwandtschaft, unseren Job, unsere Kinder und unseren im Mülleimer wühlenden Hund einfach mit einem gewissen Gleichmut anschauen und wissen: So sind die Dinge! Dinge, mit denen wir glücklich sein können, obwohl sie nicht ganz so sind, wie unser Ego sie gerne hätte.
Wenn wir meinen, dass wir nur glücklich sein können, wenn alles vollkommen ist und wenn wir bekommen, was wir wollen, dann haben wir ein echtes Problem! Schon das Wort „Glück“ kann an Erwartungen gekoppelt sein, die uns zwangsläufig enttäuschen müssen. Glück – dieses Wort ist in den letzten Jahren so dermaßen inflationär benutzt worden, dass wir mehr und mehr das Verhältnis dazu verlieren. Jeder will glücklich sein und vor allem glücklich wirken, weil unglücklich sein total out ist und der Karriere schadet. Es gibt immer wieder diese Werbespots, die gertenschlanke Frauen zeigen, die ihren Arbeitstag als mordsmäßig erfolgreiche Anwältin rocken, dann einen kleinen Salat ohne Dressing zu sich nehmen, bevor sie eine dreistündige Yoga-Klasse geben, sich anschließend ganz entspannt um ihre Kinder kümmern, um dann ein phänomenales 5-Gänge-Menü für ihren Göttergatten zuzubereiten und den Tag dann in einer ultra-coolen Hipster-Bar zu beschließen. Klingt nach ganz normaler Realität, oder?!
Das mag ein klein wenig übertrieben klingen (obwohl ich darauf hinweisen möchte, dass ich mir diesen Murks nicht ausdenke), aber im Grunde genommen sind das die üblichen Erwartungen, die wir an das Leben haben.
Eine alte jüdische Weisheit lautet daher:
„Es gibt auf der Welt keinen noch so glücklichen Menschen, der nicht glaubt, es gebe einen noch glücklicheren.“
Und deshalb sind so viele Menschen unglücklich. Weil sich ihre Ansprüche, ihre Vorstellungen, wie das Leben erfahren werden sollte, nicht verwirklichen lassen. Weil sie das ganz große, rosafarbene Glück mit Glitzersternchen suchen, dessen Intensität niemals nachlässt, und dabei das übersehen, was sie wirklich zufrieden machen könnte. Jeder möchte 24 Stunden am Tag ein Feuerwerk der guten Laune, aber natürlich ist das Leben so nicht, auch wenn wir uns das noch so sehr wünschen.
Das Leben ist ein Fluss mit einer ganz eigenen Strömung, die uns manchmal zu Orten mitreißt, die wir uns nicht einmal vorzustellen vermochten, uns manchmal in einen Seitenarm spült, in dem wir eine Weile herumdümpeln und uns über uns selbst klar werden können, bis die Reise dann weitergeht. Worauf wir definitiv vertrauen können, ist, dass dieser Fluss letztlich ins Meer führen wird und dass wir unterwegs alle Möglichkeiten haben werden, zu lernen, was immer zu lernen für uns wichtig ist.
Denn Menschsein ist keine Übung in Perfektion, sondern eine lebenslange Lektion darin, das Unvollkommene mit ganzem Herzen zu lieben.
So entsteht Raum in uns für das wirkliche Leben und die Zufriedenheit, in der wir ruhen können.
(c) Dirk Grosser